Angestachelt

Marco hat gebastelt. Aus einem alten umgedrehten Kartoffelkorb hat er einen passablen Igel-Unterschlupf gemacht. Fressnäpfe mit Futter und Wasser stehen daneben. Und kaum hat unsere Igeldame ihre Transportbox verlassen, ist sie auch schon in ihr neues Haus geschlüpft. Elise geht an diesem Abend noch dreimal nachsehen. Aber Futter und Wasser sind nicht angerührt, im Igelhaus herrscht Stille. Dasselbe am nächsten Tag. Nach einer Weile geht uns auf, dass Madame uns wohl verlassen hat. Wir hoffen, dass sie sich in unserem durchaus igelfreundlichen Garten ein neues Versteck gesucht hat und selbst auf die Jagd geht.
Die Kinder sind enttäuscht, sie wollen einen neuen. Beim Anruf bei der Igelstation erfahre ich, dass es noch genau einen Igel gibt, der ein neues Zuhause sucht. Er sei jünger und kleiner als der vorige und brauche erst einmal ein Gehege. Wir fahren in den Baumarkt, kaufen eine große Rolle Kaninchendraht und lassen den Opa einen Tag lang basteln. Heraus kommt ein passables Igel-Gehege, das zunächst komplett geschlossen ist. Am Tag darauf holen wir unser zweites Tier. „Er ist unruhig und stachelt sehr“, sagt Frau Heinrich (interessant, dass es das Wort „stacheln“ auch als Verb gibt – ich stachele, du stachelst…). Tatsächlich steche ich mir durch die Handschuhe in die Finger, als ich ihn aus der Transportbox hebe und in sein Gehege setze. Aber er ist mit einem gesunden Appetit gesegnet. Die Futterschälchen sind am Morgen meist leer. Elise baut neben dem Kartoffelkorb-Igelhaus noch ein zweites aus Stöcken, Laub und Rasenschnitt. Sie freut sich sehr, dass unser Felix, so haben wir ihn getauft, dieses bevorzugt. In der Dämmerung sitzt sie oft lange in der Hocke neben dem Gehege und wartet darauf, dass der Laubhaufen wackelt. Mehrfach erleben wir gemeinsam, wie die kleine Schnauze aus den Blättern guckt und Felix in seinem Gehege aktiv wird.
Nach zwei Wochen erkennt man deutlich die Spuren von Felix‘ nächtlichen Wanderungen am Gitter des Geheges entlang, wo er immer hin und her läuft, ein bisschen wie ein Tiger im Zoo. Wir befinden, dass er sich den Schritt in die Freiheit verdient hat. Tags darauf wird das Gitter an einer Seite geöffnet. In der Dämmerung hocken wir nun alle in gebührendem Abstand und warten. Felix durchmisst wie immer sein Gehege, findet die offene Seite, zögert kurz, und läuft dann zielstrebig los in die neue Freiheit. Wir hören es noch eine Weile in der Dunkelheit rascheln, dann gehen wir schweigend zurück zum Haus. Irgendwie ist uns wehmütig. Wie man in dieser kurzen Zeit einen kleinen Kerl liebgewinnen kann. Was wohl aus ihm wird? Ob wir ihn wiedersehen?
Wir haben ihn wiedergesehen. Mehrfach, mal allein, mal in Begleitung. Die Fressnäpfe, die wir weiterhin bereitstellen, sind auch noch eine Zeitlang ganz beliebt. Wobei es durchaus sein kann, dass sich hier auch die Katzen aus der Nachbarschaft mal eine Mahlzeit genehmigen.
Die Vorstellung, dass unser Igelweibchen vom ersten Mal und unser Felix irgendwie zusammengefunden haben, ist zu schön. Ob daraus mehr geworden ist, wissen wir nicht. Doch die Hinterlassenschaften der Stacheltiere zeigen uns regelmäßig, dass weiterhin Betrieb auf unserem Grundstück ist. Und wer weiß, was das kommende Jahr bringt. Es bleibt auf jeden Fall spannend auf unseren Garten-Safaris.
Svenjas Zeug
- Auf und ab
- Stille Zeit?
- Frisch gebacken
- The Crossing
- Ein Abwasch!
- Eine Frage der Perspektive
- Aufgebrezelt
- Verloren und gewonnen
- Stille
- Drei schwere Nüsse
- Angestachelt
- Erntezeit
- Wir blicken's nicht
- Gruseln im Dreivierteltakt
- Mit eigenen Augen
- Schweinerei
- Schuh-Parade
- Schnappschüsse
- Tatort Sofa
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