Gruseln im Dreivierteltakt

von Svenja Penzel

Svenjas ZeugDie elegant gekleideten Gäste drehen sich auf dem Parkett. Walzermusik erklingt, bekannte Melodien von Johann Strauß zum Mitschunkeln. Und tatsächlich, die durchweg weiblichen und durchweg hübschen Geigerinnen des Orchesters schunkeln beim Spielen auch. Dabei strahlen sie in die Kameras oder gucken kokett zu ihren Orchesterkolleginnen, oder schwärmerisch zum Maestro. Gehüllt in pastellfarbene, tief dekolletierte Rüschenkleider sind sie echte Hingucker auf der Bühne. Mein Mann hatte mich aus der Küche ins Wohnzimmer gerufen, wo im Fernsehen die Übertragung des Opernballs der Semperoper Dresden läuft, mit den Worten „Guck mal, die spielen Strauß, das magst du doch so!“ Ich grinse schräg und setze mich zu ihm. Die meisten Stücke kann ich mitpfeifen. Beim alljährlichen Neujahrskonzert meines hiesigen Orchesters gehören Walzer auch zum Pflichtprogramm. Der Dirigent mag sie, das Publikum auch. Nur ich nicht. Ich kann die Walzer von Johann Strauß nicht ausstehen. Der ewige Dreivierteltakt, die Wiederholungen, die Verzögerungen und Fermaten, das Schrumm-Schrumm der tieferen Streicher, dieses betont Fröhliche, dieses ganze Hump-ta-ta, ist mir ein Graus. Ein Walzer nach dem anderen ertönt. Strahlende Gesichter im Orchester, wie halten die das so lange durch? Machen die täglich Lächeltraining? Klar sind es Profis, die das seit Jahren machen (welch grusliger Gedanke). Marco stupst mich an: „Ist doch ein toller Job, die verdienen sicherlich das Dreifache von unserem Gehalt.“ Ich würde den Job nicht für das Fünffache machen. Jeden Abend Strauß-Walzer spielen, ein Rüschenkleid tragen, im Rampenlicht sitzen und dabei durchgehend lächeln? Das ist kein Job, das ist eine Strafe.

Frenetischer Applaus. Der Maestro breitet die Arme weit aus, dreht sich zum Publikum, es darf jetzt mitsingen. Und das tut es auch aus vollem Halse. Die Orchestermitglieder lächeln weiter. Das steht bestimmt im Arbeitsvertrag. Warum sitze ich eigentlich immer noch vor dem Fernseher? Es ist wohl die Faszination des Grauens, ich komme mir vor wie ein Gaffer am Unfallort. Als im nächsten Teil der Show eine Step-Tänzerin auf den Konzertflügel steigt (!) und mit ihren Absatzschuhen auf diesen eintritt, wird es mir dann tatsächlich zuviel. Ein guter Freund von uns hat in seinem Haus einen Flügel stehen, darauf darf man nicht einmal ein Weinglas abstellen. Ich hoffe inständig, dass er diese Übertragung nicht sieht. Und dann flüchte ich aus dem Wohnzimmer, während mein Mann mir hinterhergrinst. Wie dankbar bin ich für meine schlichte schwarze Konzertkleidung und dafür, dass es nur ein Neujahrskonzert im Jahr zu bestreiten gibt, bei dem nur lächle, wenn mir danach zumute ist. Nämlich, wenn die Strauß-Walzer vorüber sind.

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