Eine Frage der Perspektive

von Svenja Penzel

Svenjas ZeugNatürlich muss er genau an der leisesten Stelle des Films herumknistern. Gefühlte Minuten geht das schon so. „Jetzt mach schon“, denke ich. Er knistert weiter. Ich beuge mich vor, um das Objekt des Anstoßes in Augenschein zu nehmen. Ach na klar, die Verpackung der Nachos mit roter Soße. Die werden in diesem Kino nämlich nicht offen in einer Pappbox verkauft, sondern in einem Plastikbeutel. Und mit dem müht sich dieser Teenager nun gerade im Halbdunkel ab. Über den Bildschirm flimmert das Paris der 1920-er Jahre, in dem sich Zauberer, Muggel und magische Tierwesen ein Stelldichein geben. Ich schaue den Film jetzt zum zweiten Mal. Beim ersten Mal, vor ein paar Wochen, war es in einem neuzeitlichen Kinosaal in 3D. Ein Augen- und Ohrenschmaus, nur hatte ich die Handlung nicht richtig verstanden. Als der Film nun für vier Tage in unser Provinzkino kommt, ist schnell klar: ich muss da nochmal rein. Und meine Teenie-Tochter muss mit, um mir die komplizierten Stellen zu erklären, sie schaut den Film zum dritten Mal.

Dieses Lichtspielhaus mit dem Namen „Harmonie“ ist etwas Besonderes. Viel alte Substanz, durch private Initiative von der Schließung bewahrt. Der Zahn der Zeit nagt am Gebäude, kann aber der Gemütlichkeit nichts anhaben. Es gibt nur einen einzigen Saal mit einer Leinwand. Im Parkett keine Sitzreihen, sondern Tische umgeben von Drehsesseln, auf denen man in einer halb liegenden Position fläzen kann. Eine Bar im Saal, die auch während der Vorstellung geöffnet ist. Leute, die einem auf dem Weg dorthin durchs Bild laufen. Der Typ mit der Nacho-Verpackung holt sich eine Cola. „Das ist der Tim aus meiner Parallelklasse“, raunt meine Große. Man kennt sich. Weiter vorn sitzen andere Bekannte, auch die Familie hinten links kenne ich. Fast schon familiär. Nur der Film selbst leidet. In 2D sind die Effekte natürlich nicht so packend wie letztens im großen Ketten-Kino. Kein Dolby Surround unterstützt die tolle Filmmusik. Es wird hier getuschelt und da geknistert und irgendjemand im Publikum ist immer in Bewegung. Dass die Bilder auf der Leinwand nicht richtig scharf erscheinen, schiebe ich auf meine Kontaktlinsen. Hinterher muss ich von meiner Tochter hören, dass tatsächlich der Film nicht scharf war.

Ich sinniere und frage mich, was ich eigentlich will. Kurze Wege, günstige Eintrittskarten, gemütliche Sessel und ein Bier auf dem Tisch, oder einen technisch perfekt gezeigten Film? Am Ende ist es doch ganz harmonisch bei diesen Lichtspielen: Ich habe die Handlung besser verstanden und einen coolen Mutter-Tochter-Abend erlebt. Und vielleicht schaue ich den Film ja noch ein drittes Mal. Meine Große signalisierte mir schon, dass sie für einen vierten Kinobesuch durchaus offen ist.

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