Harar und Addis Abeba - Reisebericht Äthiopien

von René Schmidt

Harar, 24.11.2015

Von der Moderne zurück in die Geschichte geht es dann am nächsten Tag. In der Region Harar im Osten des Landes gab es muslimische Sultanate, die erst seit Ende des 19. Jahrhunderts von Äthiopien einverleibt wurden. Dadurch weist dieser Landesteil einen ganz eigenen Charakter auf. Harar gilt für seine Einwohner als viertbedeutendste Stadt des Islam.

In der Altstadt hat sich das arabische Sultanat erhalten, mit Souks, Moscheen, schmalen Gassen und Plätzen, umgeben von einer Mauer mit fünf Toren. Ich sehe Geschichten aus 1001 Nacht vor mir. Durch eines der Tore ritt einst Richard Burton als erster Europäer in die Stadt, als Araber verkleidet, um unentdeckt zu bleiben. Später entdeckte er den Tanganyika-See, als er eigentlich die Quelle des Weißen Nils suchte. Die Quelle des Blauen Nils in Äthiopien war zu seiner Zeit bereits entdecket, darum musste er wohl einen Umweg machen, um als Entdecker einen Eintrag in den Historienbüchern zu erlangen. Heute sind keine Verkleidungen mehr notwendig in Harar, die letzten Quellen sind entdeckt und ich versuche mich am Schreiben meines Reiseberichts.

Abenteurer und Hyänen

Nicht so berühmt wie Richard Burton war der französische Abenteurer Arthur Rimbaud, der später (unverkleidet) in der Stadt lebte, Handel trieb und sich als Foto-Pionier betätigte. Ein prächtiges Haus trägt heute seinen Namen und zeigt auch einige Zeugnisse der frühen Fotografie: Porträts in Schwarzweiß, Aufnahmen, die Ruhe ausstrahlen. Irgendwie ganz natürlich bei den früheren Belichtungszeiten. Die heutige Fotolinse sucht nach anderen Motiven – Bewegung und Action! Die Fütterung der Falken am Fleischmarkt oder, noch spektakulärer, die Fütterung der Hyänen bei Einbruch der Nacht.

Den Anfang dazu bildete eine Legende um den Sultan von Harar und den Hyänenkönig. Vor über hundert Jahren begannen dann Hyänenmänner, die Tiere zu zähmen und mit Schlachtabfällen zu füttern. Die Hyänenmänner vererben ihren Beruf, und heute ist die tägliche Fütterung Tradition und Touristenspektakel zugleich. So habe ich Gelegenheit, den sonst so scheuen Tieren einmal ganz nah zu kommen. Das schafft man in einem Nationalpark sein Leben lang nicht.

Weniger spektakulär, aber doch auffällig ist in der Region der Verkauf von Khat. Die Blätter dieser Pflanze werden als Aufputschmittel oder Hungerstiller gekaut und sind auch unter dem Namen Abessinischer Tee bekannt. Ich kostete lieber den richtigen Tee oder Kuti, ein Getränk aus den Blättern des Kaffeestrauches mit überraschend angenehmen Geschmack. Auch die Kaffeebohnen kann man hier frisch geröstet kosten. Arabien ist nicht weit, oder ich bin schon mittendrin. Interessante Stippvisite in eine Region, die etwas anders ist als Äthiopien. Es fällt sowieso schwer, das typische Äthiopien zu definieren. Keine leichte Aufgabe bei den unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen und der kulturellen Vielfalt. 

Addis Abeba - Ven der Wiege der Menschheit zur modernen Metropole

Ethiopian Airlines hat nicht nur gute Verbindungen nach fast ganz Afrika, auch im Inland gibt es viele Flugstrecken, die die teils langen Distanzen bequem verkürzen. Der Straßenrand wird ersetzt durch das Luftbild. Über den Wolken sieht doch wieder alles anders aus. Nach der ersten Reiseetappe fliege ich zurück nach Addis Abeba. Dort habe ich am Nachmittag Zeit zur Erkundung der „neuen Blume“, so die wörtliche Übersetzung des Namens der Hauptstadt. Diese lässt sich am besten vom natürlichen Aussichtspunkt aus überblicken und bestaunen, vom Entoto-Berg, dem Hausberg der Stadt. Ein lohnenswerter Ausflug. Wieder unten entdecke ich erstaunlich viel Italienisches.

Im Palast des ehemaligen Vizekönigs ist heute das Nationalmuseum des Landes untergebracht. Das Erdgeschoss beherbergt die Sammlung zur Frühgeschichte mit Lucy als bekanntester Bewohnerin. Hier gibt es also einen Blick auf die Wiege der Menschheit. Insgesamt besteht das Museum aus vier Stockwerken zu unterschiedlichen geschichtlichen Perioden. Immer wieder beeindruckend, wie in den äthiopischen Bildergalerien Kaiser, sozialistische Machthaber und demokratische Erneuerer einträchtig nebeneinander hängen.

Ich konnte mich auch heute wieder davon überzeugen, dass in der Gegenwart in Addis Abeba viel gebaut wird. Die Metropole wetteifert darum (mit wem eigentlich?) Hauptstadt des afrikanischen Kontinents zu werden. Schon gestartet ist die neue S-Bahn, der Stolz der Moderne. Noch kann man nicht erahnen, ob sie einmal den Verkehr entlasten wird. Momentan trägt ihr unvollendeter Bau wohl eher noch zur Verstopfung der Straßen bei.

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