Besuch im Elefanten-Waisenhaus von Nairobi

von Marco Penzel

Nairobi, 21.03.2013 Die Elefanten sind nicht zu Hause. An den Ställen sind ihre Namen zu lesen: Faraja, Lemoyian, Lima-Lima ... Die Türen stehen offen. Jetzt am Vormittag sind die Tiere draußen im Busch auf dem weitläufigen Gelände des Sheldrick Wildlife Trust am Rande des Nairobi Nationalparks. Erst am Abend kommen sie zurück in den Schutz des Elefanten-Waisenhauses. In jedem der mit Stroh ausgelegten Holzverschläge gibt es, etwas erhöht, auch ein Bett für Zweibeiner. „Familienbindung ist für Elefanten sehr wichtig, und gerade die Kleinen brauchen auch in der Nacht eine Bezugsperson”, erklärt einer der Pfleger, der wie seine Kollegen regelmäßig bei den Dickhäutern übernachtet und versucht, ihnen die Mutter zu ersetzen. Dabei wechseln sich die Pfleger in Schichten ab. Zu fest soll die Bindung an eine bestimmte Person auch wieder nicht werden; das könnte die später geplante Auswilderung erschweren.

Hier in Nairobi betreibt der Trust die berühmte Auffangstation für verwaiste Elefanten. Zudem gibt es eine Dependance im Tsavo Nationalpark. Dorthin werden die Tiere verlegt, wenn sie herangewachsen sind, die Fürsorge des Waisenhauses nicht mehr benötigen und langsam in die Freiheit entlassen werden sollen.

Aus ganz Kenia gehen die Notrufe bei Sheldrick ein. Selten sind es natürliche Umstände, die ein Elefantenkind zum Waisen machen. Am häufigsten sind es Wilderer, die das Leben der Mütter auf dem Gewissen haben. Spezialisten des Sheldrick-Funds versuchen dann, die oft verstörten Jungtiere einzufangen und nach Nairobi zu bringen. Geländewagen und Transport-Lkw stehen bereit. Auf meiner Flugsafari durch Kenia treffe ich einen Piloten, der mir erzählt, dass er mit seiner Cessna schon einmal ein gerettetes Elefantenbaby für Sheldrick nach Nairobi geflogen hat. Man habe nur die hinteren Sitze und eine Tür ausbauen müssen.

Solcher Aufwand kostet Geld, viel Geld. Es kommt von Spendern aus aller Welt. Über seine Website, Facebook, Youtube und weitere Kanäle hält der Sheldrick-Trust Kontakt zu den Geldgebern, informiert sie über das Wohl und Wehe der einzelnen Schützlinge. Ich werde herumgeführt in der Anlage, die wie ein kleines Dorf aus Bungalows und Baracken wirkt. Zuerst besuchen wir Maxwell, das blinde Nashorn, das im Nairobi Nationalpark gefunden wurde. Als Jungtier konnte es an der Seite seiner Mutter im Nationalpark überleben. Als erwachsenes Männchen hat es keine Chance, erklärt Chef-Pfleger Edwin: „Nashörner müssen ihr Territorium verteidigen, das kann er einfach nicht.“ Die Tierärzte des Sheldrick-Trusts haben das Nashorn untersucht und später noch Spezialisten aus Südafrika hinzugezogen. Das Ergebnis: die Augenkrankheit hat genetische Ursachen und ist nicht heilbar. Anders als die Elefanten, die bei Sheldrick auf die Rückkehr in die Wildnis vorbereitet werden, wird Maxwell hier im Gehege sein Gnadenbrot bekommen. Einen Teil dazu steuert Outback Africa mit einer jährlichen Paten-Spende bei.

Von den Ställen gehen wir zu den direkt daneben liegenden Büros, an die sich das Wohnhaus der Familie Sheldrick anschließt. Bevor wir in die Küche kommen, passieren wir einem Raum, in dem zwei Mitarbeiter gerade lernen, wie man am Computer Videos schneidet. Bewegte Bilder transportieren die Emotionen, die wichtig sind, wenn das Interesse der Spender in Übersee nicht abflauen soll. Die Leute von Sheldrick verstehen es offensichtlich ausgezeichnet, auf den Instrumenten des modernen Marketings zu spielen.

Nun sitze ich im Wohnzimmer, auf dem Sofa der Familie. Daphne Sheldrick, die betagte Gründerin des Hilfsprojektes, ist gerade nicht da. Die 78-Jährige schaut heute in der Elefanten-Auswilderungsstation in Tsavo nach dem Rechten. Dafür nimmt sich ihre Tochter Angela kurz Zeit für mich. Während ein kleiner Klippschliefer über den Tisch und unsere Schultern klettert - Alfie, ebenfalls ein Adoptivkind - wechseln wir ein paar Sätze über das Anliegen des Trusts und den Naturschutz in Kenia insgesamt. Lange dauert unser Gespräch nicht. Es klingelt, an der Tür wartet ein Journalist auf Angela Sheldrick.

Von der Veranda des Wohnhauses sind es nur ein paar Schritte zu dem großen Platz, an dem täglich um 11 Uhr die Elefanten einem großen Publikum aus Tagesbesuchern vorgestellt werden. Darunter sind auch mehrere Schulklassen, die aufgeregt plappernd auf die kleinen Elefanten warten. „Wir haben jeden Tag 200 Kinder zu Gast“, erzählt Angela Sheldrick. Die Schüler müssen im Gegensatz zu den Touristen kein Eintrittsgeld bezahlen. Für die meisten ist es das erste Mal in ihrem Leben, dass sie einem der großen Tiere begegnen, für die ihr Heimatland in Europa und Amerika so bekannt ist. Es sei ganz wichtig, dass die kenianischen Kinder lernen, wie wichtige der Schutz ihrer einheimischen Tierwelt ist, sagt Angela Sheldrick.

Endlich ist es soweit, schnellen Schrittes kommen die kleinen Elefanten angelaufen. Die Tiere wissen genau, dass es jetzt die begehrte Milchration gibt. Nuckelflaschen von der Größe eines Handfeuerlöschers stehen bereit. Den kleinsten Elefanten geben Pfleger die Flasche, die etwas älteren nehmen sie sich mit dem Rüssel selbst und leeren sie ohne einmal abzusetzen. Währenddessen stellt einer der Pfleger alle Tiere einzeln vor. Bald ist Lima-Lima an der Reihe, der Neuankömmling. Sie ist erst ein paar Tage hier und auffällig hager. Das Gesicht wirkt ganz eingefallen. Lima-Lima wird noch viele Milchrationen brauchen, denke ich und bin ganz gerührt und auch ein bisschen stolz. Outback Africa hat nämlich die Patenschaft für Lima-Lima übernommen. Mit einem Geldbetrag ab 50 US-Dollar im Jahr kann man Pate eines Elefanten werden. Und er braucht viele Paten. Allein die Milch für ein Tier kostet 900 US-Dollar im Monat, rechnet der Pfleger vor. Übrigens habe es lange gedauert um herauszufinden, wie die Muttermilch am besten zu ersetzen ist: „Wir können ja nicht in die Wildnis gehen und eine Elefantenmutter melken, das lässt die sich nicht gefallen.“ Deshalb wird die Milch nun aus einem speziellen Pulver zubereitet, das der menschlichen Babynahrung ähnelt und vom Sheldrick-Trust aus England importiert wird.

Der Pfleger spricht auch die Gründe an, die diese Hilfsaktionen überhaupt nötig machen: Die Konkurrenz zwischen der wachsenden menschlichen Bevölkerung und den Tieren um den Lebensraum - und die Wilderei, die beängstigende Ausmaße angenommen hat. In absehbarer Zeit werde es keine Elefanten und Nashörner in freier Wildbahn mehr geben, so sagt er voraus, „wenn wir Menschen nicht begreifen, dass wir weder Elfenbein noch angebliche Medikamente aus Nashorn haben müssen.“ Er verwendet das Wort wir, obwohl allen klar ist, dass weder die tierliebenden Besucher noch die Sheldrick-Mitarbeiter zu jenem Klientel gehören, das für die Nachfrage nach Elfenbein und Nashorn-Pulver verantwortlich ist. Aber es können eben nur wir Menschen sein, die diesen Wahnsinn stoppen, bevor er ganzen Arten das Leben kostet.Nur ein einfacher Strick trennt die Besucher von den Elefanten. Manchmal kommen sie so nahe, dass man sie anfassen kann. Das Publikum ist begeistert. Wo kann man schon einem echten Elefanten die Stirn streicheln?

Kann diese Art der hautnahen Vorführung dem Tierschutz gerecht werden? Ich zweifle. Die Show ist offenbar ein unverzichtbarer Bestandteil des Konzeptes. Nachdem die Elefanten wieder im Nationalpark verschwunden sind, stehen die Besucher Schlange, um Patenschaftserklärungen auszufüllen. Wieder werden viele neue Spender gewonnen. Ich bin hin und her gerissen: War das eher eine Zirkusvorführung oder dient die Aktion dem Naturschutz?

Was nützt es den zehntausenden Tieren, die in Afrika bedroht sind, wenn der Sheldrick-Trust in vielen Jahren 80 oder 90 Elefanten rettet? Am Ende komme ich zu dem Schluss: das Projekt ist es wert, unterstützt zu werden. Die direkte Begegnung mit den Tieren schafft Emotionen und damit jene Spendenbereitschaft, von der das gesamte Unternehmen abhängt. Der Sheldrick-Trust erzeugt Aufmerksamkeit für das Anliegen des Artenschutzes in Afrika insgesamt. Der Nutzen ist also weit größer als die eine Elefantenherde, die aus geretteten Waisenkindern besteht und jetzt wieder durch den Tsavo-Nationalpark streift. Und außerdem, jede einzelne Kreatur ist es wert, dass sich jemand für sie einsetzt.

4 Kommentare

Marco

09.10.2014 um 11:43

Ein Besuch des Sheldrick Elefanten-Projektes in Nairobi können wir bei praktisch jeder unserer Kenia-Reisen organisieren, die in Nairobi beginnt oder endet. Je nach Programm ist vielleicht eine zusätzliche Hotelübernachtung notwendig. Hinzu kommen die Kosten für den Fahrer und Guide, auf Wunsch auch deutschsprachig. Es handelt sich dann um einen Besuch, entweder am Vormittag oder am Nachmittag, aber nicht um einen längeren Aufenthalt. Die Kosten für diesen Besuch sind überschaubar. Voraussetzung ist eine Reise nach Kenia. Gern erstellen wir ein konkretes Angebot zu einer bestimmten Reise. Hier die Auswahl: http://www.outback-africa.de/Reisen/Kenia/index.html

Birgit Riedinger-Dippel

09.10.2014 um 11:26

ich bin sehr beeindruckt, nicht nur von Ihrem Bericht und Ihrer Arbeit, sondern auch von dem Film mit Hannes Jaenicke, den ich neulich sah. Da hatte ich den Wunsch dort Urlaub zu machen und den Elefanten jeden Tag nah zu sein. Wir haben bereits zweimal in Namibia mit dem Elefantenflüsterer Dieter Risser die Wüstenelefanen beobachtet und waren ihnen oft sehr nah. Leider kann man sich so eine Reise nur alle paar Jahre leisten. Wenn man eine Reise bei Ihnen in der Nähe bucht um auch die Elefanten zu sehen, wie wäre das möglich und was würde es kosten? Nur, damit wir schon mal sparen können... Gruß

Marco Penzel

03.08.2013 um 16:24

Outback Africa Erlebnisreisen wird ab sofort für jede Buchung einer selbst veranstalteten Kenia-Reise eine einjährige Elefanten-Patenschaft abschließen und die Kosten dafür übernehmen. Mehr Informationen zu der Aktion gibt es hier: http://www.outback-africa.de/media/Elefanten-Patenschaft.pdf

Boris Schneider

26.07.2013 um 19:59

Sehr schöner Artikel, der viele Einblicke in das Leben in Kenia bietet und auch in die Arbeit der Angestellten sowie der Elefanten. Vielen herzlichen Dank. Das Lesen hat viel Spaß gemacht.